Kinder psychisch kranker Eltern: Risiken und Angst vor eigener Erkrankung

„Pass auf, dass du nicht so wie deine Mutter wirst“ oder „du hast schon die Tendenz, wie deine Mutter zu werden“.

Diesen Satz hörte ich als Kind hie und da von erwachsenen Bezugspersonen, die es, so zumindest habe ich mir das zurechtgelegt, gut mit mir meinten. Aber, und zwar ein sehr grosses Aber, solche Aussagen sind für Kinder psychisch kranker Eltern keine Hilfe. Ganz im Gegenteil, sie belasten zusätzlich, weil man unter keinen Umständen so werden möchte, wie die eigene Mutter, welche tagein tagaus im abgedunkelten Zimmer im Bett liegt und Kette raucht. Die Flasche Rotwein jederzeit griffbereit auf dem Nachttischchen.

Betroffene Kinder leiden schon genug unter der Tatsache, dass zu Hause etwas anders ist als in anderen Familien.

Kinder psychisch kranker Eltern sind jedoch in der Tat für psychische Krankheiten anfälliger als Kinder mit psychisch gesunden Eltern. Einerseits gibt es psychische Erkrankungen, die eine genetische Komponente haben. Andererseits werden die Kinder psychisch kranker Eltern oft vernachlässigt und leiden unter der emotionalen Unerreichbarkeit des psychisch kranken Elternteils. Oft fühlen sich diese Kinder schuldig an der Krankheit von Mutter und/oder Vater.

Verschiedenen Studien zufolge ist das Risiko für eine psychische Erkrankung dieser Kinder um den Faktor 2 bis 3 erhöht, wenn sie in einer Familie mit einem psychisch kranken Elternteil aufwachsen. Es gibt aber auch Studien, die den Risikofaktor höher einstufen.

Bei elterlicher depressiver Erkrankung ist das Risiko für eine Depression etwa um das Zwei- bis Sechsfache erhöht. Zirka 60% der Kinder von Eltern mit Depressionen entwickeln in der Kindheit und Jugend eine psychische Störung*.

Egal wie hoch das Risiko ist, Tatsache bleibt: Kinder psychisch kranker Eltern sind eine besondere Risikogruppe im Hinblick auf die Entwicklung eigener psychischer Störungen.

Solche Sätze, wie die eingangs dieses Artikels erwähnten, hatten in meinem bisherigen Leben selten Einfluss auf mein Verhalten. Sie können aber zu Glaubenssätzen werden, die einem das Leben unnötig erschweren. Es ist darum sehr wichtig, dass man solche Glaubenssätze so rasch als möglich loswird. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Angst vor einer allfälligen Erkrankung tatsächlich das Risiko um mindestens einen weiteren Faktor erhöht.

Ich schätze mich sehr glücklich und bin überaus dankbar, dass ich noch nie an einer Depression litt oder sonst psychisch erkrankt bin. Wobei ich mir durchaus bewusst bin, dass niemand davor gefeit ist.

Meine Mutter litt seit ihrer Kindheit sowohl an Depressionen, als auch an Schlafstörungen. Es gab im Leben meiner Tochter eine Phase, in der sie ganz schlecht einschlafen konnte. Sie war damals ungefähr acht Jahre alt. Manchmal wurde es ein Uhr in der Früh, bis sie endlich den wohlverdienten Schlaf fand. Heute weiss ich, solche Phasen sind normal und gehen in der Regel wieder vorbei. Damals aber machte ich mir ernsthafte Sorgen, dass die psychische Erkrankung meiner Eltern doch genetischen Ursprungs war und einfach eine Generation, sprich mich, übersprungen hat. Diese Sorge hat sich Gott sei Dank als gänzlich falsch erwiesen.

Kinder psychisch kranker Eltern müssen ge- und bestärkt werden. Indem man beispielsweise ihre Ressourcen fördert. Kinder psychisch kranker Eltern müssen ent- und nicht belastet werden. Gut gemeinte Warnungen sind für diese Kinder wahrlich schlechte Ratgeber. Viel besser sind Sicherheit und ein verantwortungsvoller Umgang mit ihnen. Kinder psychisch kranker Eltern müssen über ihre Sorgen und Ängste sprechen können, sonst besteht in der Tat die Gefahr, dass sie die Patienten von morgen werden.

*Quelle: Pädiatrie 3/16, Schwerpunkt / Unterstützung für Kinder psychisch kranker Eltern / Seite 4 / Artikel von Kurt Albermann und Brigitte Müller

Bildquelle: http://www.pixabay.com

 

 

 

 

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Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

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