Kinder aus einem solchen Elternhaus sind immer auch Betroffene. Sie haben mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Mamas und/oder Papas Monster können auch die Kinder stark belasten. Es ist wichtig, dass sie damit nicht alleine sind. Es ist ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, da ich als Kind selbst davon betroffen war.
Jeder zweite Erwachsene leidet im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer psychischen Krankheit. Davon sind auch viele Eltern.
Wenn ein Elternteil psychisch krank wird, dann verändert sich für ein Kind sehr vieles. Es ist einer enormen Belastung ausgesetzt, übernimmt es doch häufig plötzlich eine Rolle, die so nicht für ein Kind gedacht ist. Es kann passieren, dass ein Kind von einem Tag auf den Anderen für seine Geschwister und den erkrankten Elternteil verantwortlich wird. Hinzu kommen Schuldgefühle und sehr oft mangelnde oder gar fehlende Kenntnis über die psychische Krankheit und deren Folgen.
In der Erwachsenenpsychiatrie liegt auch heute der Fokus noch immer zu oft auf dem Patienten und beinhaltet für gewöhnlich nur die Arbeit mit erwachsenen Angehörigen. Die gesunden Kinder werden oft nicht in den therapeutischen Prozess miteinbezogen oder nur dann, wenn sie sich auffällig verhalten oder selbst krank werden (Fritz+Fränzi, Nr. 4 Mai 2012).
Kinder aus einem depressiven Familiensystem sind in jedem Fall immer auch Betroffene und es liegt mir sehr am Herzen, dass sie nicht vergessen werden.
Auch ich war ein solches Kind. Meine Mutter litt schon vor meiner Geburt an Depressionen. Nach meiner Geburt gab es auch immer wieder manische Phasen. Hinzu kamen Tabletten-, Alkoholsucht und Zwangsstörungen.
Einmal wöchentlich ging sie für eine Stunde zur einer Psychiaterin und ich musste sie manchmal begleiten. Ich sass jedoch nie im Behandlungszimmer sondern nur im Warteraum, wo ich mir die Zeit mit malen und lesen totschlagen musste. Ich weiss noch genau, dass ich manchmal versucht habe, an der Tür zu lauschen, die jedoch schalldicht isoliert war, so dass ich nur Stimmengemurmel wahrgenommen habe. Wie gerne hätte ich gehört, was meine Mutter zu besprechen hatte. So gerne hätte ich verstanden, was in ihr vorging, warum sie so traurig war, den ganzen Tag im Bett lag und das Zimmer verdunkelte. Und warum ich nicht immer Zuhause sein durfte.
Wenn ein Elternteil psychisch erkrankt, dann erkrankt das ganze System daran. Die psychische Krankheit eines Elternteils ist nicht nur das Schicksal des Erkrankten, nein, es ist eine Krise, welche die ganze Familie betrifft. Die psychische Krankheit des Elternteils hat sowohl Einfluss auf den Partner als auch auf das Kind als „schwächstes“ Glied im gesamten Familiensystem.
Plötzlich ist nichts mehr so wie es war. Dunkle Wolken zeigen sich am Familienhimmel. Für ein Kind ist dies eine sehr bedrohliche Krise, in der es oft über zu wenig ausreichende Ressourcen verfügt:
- Mangelnde Kommunikation
Erkrankt ein Elternteil an einer psychischen Krankheit und sind die Kinder noch klein, spüren sie rasch, dass mit Mama oder Papa etwas anders ist, als es früher war. Sehr oft sind die Eltern so sehr mit der Situation beschäftigt, dass sie „vergessen“ ihrem Kind zu erklären, was mit dem kranken Elternteil los ist und worunter dieser leidet. Sehr oft reden auch die Eltern nicht miteinander, was diese Krankheit für die Familie und die einzelnen Familienmitglieder bedeutet. Diese fehlende Kommunikation führt dazu, dass ein Kind sich unverstanden und isoliert fühlt. Diese mangelnde oder gänzliche fehlende Kommunikation ist für Kinder enorm belastend.
- Schuldgefühle
Kinder neigen in dieser Situation oft dazu, die Schuld bei sich zu suchen. „Was habe ich falsch gemacht, dass Mama oder Papa plötzlich so anders sind, so traurig?“.
Psychische kranke Eltern sind in der Erziehung zu ihren Kindern oft geprägt von Schuldgefühlen und der Angst, die Kinder „seelisch zu zerstören“ (Lenz & Jungbauer, 2008). Kinder brauchen jemanden, der für sie da ist, sie in ihrer Entwicklung unterstützt, aber auch Grenzen setzt. Aus Angst werden die Erziehungsschwierigkeiten oft verschwiegen. Ganz unberechtigt ist diese Angst jedoch nicht, geschieht es doch immer wieder, dass im Verlauf einer psychischen Krankheit Kinder fremdplatziert werden.
- Schamgefühle
Meiner Erfahrung nach ist das Thema „Psychische Krankheit“ in vielen Familien immer noch ein Tabuthema. Man schämt sich deswegen. Niemand im Umfeld soll merken, dass ein Elternteil psychisch krank ist. Ebenso kann man die Krankheit wegen mangelnder Kommunikation gar nicht recht verstehen, was die Kommunikation nach aussen zusätzlich erschwert.
- Versagensängste
Aus Angst als Versager dazustehen, scheut sich eine solche Familie Hilfe von Aussen zur Unterstützung anzufordern. Kinder aus einem depressiven Familiensystemen versuchen oft selber, den erkrankten Elternteil zu pflegen und dessen Aufgaben im Haushalt zu übernehmen (siehe Rollenverteilung).
- Rollenverteilung
Viele Kinder übernehmen die Rolle des kranken Elternteils. Sie kümmern sich um den kranken Elternteil und versuchen, diesen emotional zu unterstützen. Sie fühlen sich mitverantwortlich und werden mitverantwortlich gemacht für das Befinden des erkrankten Elternteils (Lenz & Jungbauer, 2008).
Zudem helfen diese Kinder übermässig viel im Haushalt mit. Sind Geschwister vorhanden, kümmern sie sich auch um diese.
- Isolation
Kinder ziehen sich in einer solchen Situation oft zurück oder flüchten in eine Fantasiewelt. Aus Scham vermeiden sie den Kontakt mit Gleichaltrigen. Zudem verfügen sie altersbedingt noch nicht über ein gut ausgebautes, soziales Netzwerk, an welches sie sich wenden können. Jugendliche verfügen zwar über bessere Möglichkeiten, sich von der Familie abzugrenzen und nach Aussen zu orientieren, Schuldgefühle und Übernahme von Verpflichtungen fühhren sie aber immer schnell zurück (Lenz&Jungbauer, 2008).
- Stigmatisierung
Menschen mit psychischer Erkrankung sind anders als gesunde Menschen. Sie funktionieren nicht, wie „man“ es gewohnt ist oder wie es von der Gesellschaft erwartet wird. Stigma bedeutet im griechischen Stich oder Wundmal. Auch die Kinder von psychisch kranken Eltern leiden oft unter dieser Stigmatisierung. Mehr als einmal musste ich den Spruch hören: „Pass auf, dass du nicht auch so wirst wie deine Mutter“.
All diese Punkte weisen darauf hin, warum die psychische Krankheit vielerorts noch immer ein grosses Tabuthema ist. Scham- aber auch Schuldgefühle verhindern u.a. eine offene Auseinandersetzung innerhalb des Familiensystems („synapse“, Forum für die Psychiatrieregion Winterthur, 2/08).
Es ist an der Zeit, dass sich das ändert. Es gibt da einige Institutionen, die mit sehr gutem Beispiel vorangehen. Eine Übersicht vermittelt das Download Dokument der Fachtagung von Pro Mente Sana zum Thema „Kinder psychisch belasteter Eltern“ vom 23. April 2015.
Download here https://www.promentesana.ch/de/news-events/tagungen/downloads-tagung-23415.html
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4 Kommentare zu „Kinder psychisch kranker Eltern“