Als ich endlich den Mut fand, ehrlich zu sein und zu meinem Handeln zu stehen, war die Reaktion meines Vaters zu meinem Erstaunen gar nicht so heftig, wie ich erwartet hätte. Von diesem Augenblick an wurde ich allerdings verstärkt in seine Gebete einbezogen, schliesslich wollte er seine Tochter, so gut es eben ging, vor dem Fegefeuer oder der Hölle bewahren.
Wilde Ehe
Dass mein erster Mann und ich in einer katholischen Kirche mit allem, was dazu gehört (und mehr) getraut wurden, versteht sich unter diesen Umständen irgendwie von selbst.
Endlich konnte ich die aufgeladene „Schuld“ von damals tilgen und es meinem Vater zumindest in dieser Hinsicht Recht machen.
Zudem kam er mich nun auch besuchen – dies hatte er bis zum Zeitpunkt der Heirat, als ich noch in „wilder Ehe“ lebte, verweigert.
Dass solche Voraussetzungen als Basis für eine Ehe untauglich waren, muss hier wohl nicht weiter erläutert werden und es kam, wie es kommen musste.
Kurz nach der Hochzeit lernte ich den Mann meiner Träume kennen, wurde von ihm schwanger und das, obwohl ich noch nicht einmal von meinem ersten Mann geschieden war – für meinen Vater was dies der Supergau. Damit habe ich gegen alle seine indoktrinierten Prinzipien verstossen.
„Bis dass der Tod euch scheidet“, war für mein Vater weit mehr als nur ein Spruch, der bei einer katholischen Trauung einfach so dahingesagt wird.
Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich ihm und meiner Mutter all dies offenbarte. Mein Vater hat dazu kein Wort gesagt und den Blick starr auf den Küchenfussboden gerichtet. Mich hat er weder angeschaut, noch hat er sich sonst irgendwie dazu geäussert. Dieses Schweigen war nicht leicht zu ertragen, und ich hätte mir in diesem Moment einen Ausraster und eine damit verbundene direkte Konfrontation sehnlichst herbeigewünscht.
Dieses Schweigen dauerte ungefähr vierzehn Tage. Meine Mutter litt vermutlich mehr darunter als ich, denn mein Vater lag während dieser Zeit im Bett und hatte schwere Depressionen.
Heute denke ich, dass mein Vater sich zuerst darüber klar werden musste, was diese – meine Umstände – für IHN bedeuteten. Sein Einfluss, den er in Glaubensfragen seit meiner frühsten Kindheit, als ich noch nicht in der Lage war, kritisch zu denken, auf mich ausgeübt hatte, war dahin. All seine angestrebte Autorität, die er sowohl mir als auch meiner Mutter gegenüber immer an den Tag gelegt hatte, war ebenfalls dahin. „Sein“ strafender Gott hat mir bedeutend weniger Angst eingejagt, als dies vermutlich bei ihm (ebenfalls seit seiner frühsten Kindheit) der Fall war. Auch seine hochritualisierte Una Voce konnte mich nicht davor bewahren, ich sag es absichtlich so überdeutlich, in Sünde zu leben.
Ein liebender Vater
Nichts desto trotz war mein Vater nicht nur ein streng religiöser Katholik, nein, er war in erster Linie ein Vater. Ein liebender Vater und ein Vater, der bald Grossvater wurde.
Obwohl er mit meiner Lebensweise ganz und gar nicht einverstanden war, hat er sie irgendwie akzeptiert und ich war sehr froh und erleichtert darüber.
Ich wusste, wie viel ihm der Glaube an Gott und die damit verbundenen Rituale bedeuteten. Ich denke, er ist über (s)einen riesig grossen Schatten gesprungen, als er wieder auf mich zukam.
Für mich war es Beweis dafür, dass die Liebe zum eigenen Kind stärker sein kann, als Glaubenssätze und Prinzipien.
Ende gut, alles gut
Erstaunlich (oder auch nicht) ist, dass ich über die Geburt meiner Kinder wieder näher zu Gott gerückt bin. Und da meine Kinder alle getauft sind und den Religionsunterricht besuchen, auch wieder näher zur katholischen Kirche.
Soviel zu den Drehbüchern, die das Leben schreibt. Es gibt sie immer einmal wieder, die Momente, wo ich merke, dass ich diesbezüglich doch das Kind meines Vaters bin. Manchmal sogar mehr, als mir eigentlich lieb ist.
Und doch erstaunt es mich manchmal, zu erkennen, dass gewisse Erlebnisse und die damit verbundenen Prägungen aus der Kindheit so stark in einem verankert bleiben. Selbst dann, wenn man zwischenzeitlich überzeugt war, dass man sich vollkommen davon gelöst hat.
Doch wie bereits im ersten Teil dieses Beitrags gesagt, und darüber bin ich wirklich sehr dankbar – der Gott, an den ich glaube ist keiner, der verurteilt, keiner der straft und keiner, der von mir verlangt, dass ich oder andere Familienmitglieder jeden Sonn- und Feiertag zur Kirche gehen müssen.