Das Phänomen der erotischen Tarnkappe

Das Phänomen der erotischen Tarnkappe

Sonntagabend, 20:15 Uhr – Tatortzeit. Ich liebe es. Gestern lief wieder einmal ein Tatort, der mir ziemlich an die Nieren ging. Er handelte von einer Mutter, die vor zehn Jahren eine Entscheidung traf, die schwerwiegende Folgen für die Zukunft der Familie hatte. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

Vor gut einem Jahr flimmerte ebenfalls ein Tatort über den Bildschirm, den ich persönlich ganz furchtbar fand – furchtbar deprimierend. Der Titel lautete „Frühstück für immer“. In diesem Tatort ging es um Frauen jenseits der Vierzig, die sich bereits kurz vor oder inmitten der Wechseljahre befanden. Das wiederum führte bei den Damen dazu, das sie ständig auf irgend welchen Ü40-Partys abhingen. Eigentlich waren die Ladies auf der Suche nach der grossen Liebe, fanden aber meistens nur den Mann für gewisse Stunden.

Torschlusspanik im Quadrat, oder so. Und das Tüpfelchen auf dem „i“? Nachmittags beim Schönheitschirurgen noch schnell die Brüste vergrössern lassen, damit man Abends vermeintlich bessere Chancen beim anderen Geschlecht hat. Die Frauen in diesem Tatort wurden als sexhungrig, unzufrieden und frustriert dargestellt. Entweder legten sie den Freund der eigenen Tochter flach, trieben es mit ihrem Flirttrainer oder verwickelten ältere Männer in perverse Fesselspiele. Das konnte natürlich nicht gut ausgehen…und somit wurde eine der Damen am Morgen nach dem Ausgang erdrosselt aufgefunden.

Die Frauen in diesem Tatort leiden ganz massiv unter der Angst des Älterwerdens. Dieser Tatort war eine traurige Ballade über vergängliche Schönheit und über die Angst, irgendwann eines Tages einsam und traurig zurück zu bleiben.

Ich muss uns Frauen um die Vierzig jedoch in ein besseres Licht rücken. In ein deutlich besseres Licht. So wie in diesem Tatort dargestellt, sind wir nicht! Oder doch? Vielleicht nur ein ganz kleines bisschen? Sind wir Frauen über vierzig wirklich so getrieben? Es ist Zeit, dem Ü-40-Phänomen auf den Grund zu gehen.

Wenn man noch ganz jung ist, dann möchte man die ganze Zeit älter sein. Bei mir war das jedenfalls so. Damit man endlich jeden Film anschauen kann, überall hin in den Ausgang gehen kann, damit einem endlich keiner mehr ins Leben reinredet. Mit zwanzig liegt einem die Welt zu Füssen. Man fühlt sich frei und unabhängig. Um die Dreissig werden wir langsam sesshaft. Für viele ist Zeit, eine Familie zu gründen.

Und um die Vierzig? Keine Perspektiven mehr? Ende im Gelände? Wir werden unsichtbar. Angeblich! Auch der Tatort versuchte dieses Phänomen anschaulich zu beweisen. Verschwinden wir tatsächlich so langsam aber sicher von der Bildfläche? Klischee oder Realität?

In der Mitte des Lebens realisieren viele, dass sie in Bezug auf Familie und Beruf nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten haben, dass ihr Körper älter wird – und älter aussieht – und dass das Leben irgendwann vorbei sein wird. Und ganz ehrlich, das ist überhaupt nicht lustig. Gerade in der heutigen Gesellschaft, in der Jugend und Schönheit den Takt vorgeben. Auf den Covers der Modezeitschriften lächeln uns tagtäglich wunderschöne junge Frauen entgegen. Sie grinsen uns mit ihren perfekten und faltenfreien Gesichtern an.

Ich will nicht faltig, runzlig und fett werden. Und doch, der Zahn der Zeit nagt auch an mir. Zwar noch langsam, jedoch stetig. Botox und Hyaluronsäure sind eine Möglichkeit, den Prozess zu verlangsamen. Aber aufhalten können diese Mittelchen ihn leider nicht. Der Kampf gegen die Falten und gegen das Altern werden wir über kurz oder lang verlieren.

Das Phänomen des Unsichtbarwerdens wird von manchen Soziologen als „erotische Tarnkappe“ bezeichnet. Und die Biologen liefern auch gleich noch die passende Erklärung: Männliche Aufmerksamkeit sei vor allem an eine Bedingung geknüpft: Jugend. Denn die signalisiere Fruchtbarkeit, und das sei es, was Frauen für Männer attraktiv mache. Schließlich gehe es instinktiv immer darum, den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Und dazu trägt man jenseits der Vierzig nicht mehr allzu viel bei.

Dabei könnte man es doch auch entspannter sehen: Viele haben die schwierigsten Karriereschritte geschafft, ihre Identität und Rolle gefunden, die finanziellen Verhältnisse sind meist stabil. Bei vielen wächst die Gelassenheit, schliesslich hat man doch schon die eine oder andere Hürde im Leben überstanden.

Die Mitte des Lebens ist erreicht. Viele Frauen starten jetzt sogar noch mal richtig durch, entweder im Beruf oder privat. Sie fühlen sich fit genug, um ihr Leben umzukrempeln und etwas Neues auszuprobieren. Und sie haben bereits ausreichend Erfahrung gesammelt, um zu wissen, wer sie sind, was sie wollen und was wirklich realisierbar ist. Damit haben sie die besten Aussichten auf Erfolg für ihre Pläne.

Ich kenne viele starke, selbstbewusste und attraktive Frauen in meinem Alter. In meinem Umfeld ist meines Wissens niemand so verzweifelt und frustriert wie die Ladies aus diesem Tatort. Oder zumindest nicht so offensichtlich. Um einsame und frustrierte Menschen zu finden, kann man beispielsweise in den Zürcher Club „Gonzo“ gehen. Dort suchen und finden sich immer wieder verzweifelte Seelen für ein kurzes Stelldichein und das komplett altersunabhängig.

Ganz ehrlich? Ich weigere mich von der Bildfläche zu verschwinden, und zwar ganz entschieden. Warum soll ausgerechnet ich natürlich altern, wo es doch heutzutage Möglichkeiten gibt, der Natur, und sei’s auch nur kurzfristig, ein Schnippchen zu schlagen.

Vielleicht ändert sich ja meine Einstellung in zehn Jahren. Wir werden sehen…Ich glaube jedoch eher nicht.

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

3 Kommentare zu „Das Phänomen der erotischen Tarnkappe

  1. Ich habe diesen Tatort damals auch gesehen und die dargestellten Frauen taten mir Leid. Sicher gibt es sie, ich persönlich kenne aber keine, die mit dem Älterwerden solche Probleme hat. Wahrscheinlich wäre so jemand einfach nicht meine Freundin. Meine beste Zeit begann tatsächlich mit 40. Ich fühlte mich auf einmal frei und habe vieles nachgeholt, das Leben genossen. Und schließlich – knapp vor 50 – fand ich auch die Liebe meines Lebens. Das hält nun schon seit 8 Jahren. 🙂

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  2. Ich denke auch, dass man gerade in „unserem“ Alter nicht mehr so getrieben ist. Nicht mehr so suchend. Das Du Deine Liebe des Lebens gefunden hast, gönne ich Dir von Herzen! So eine Liebe ist ein kostbares Geschenk! Herzlich, Franziska

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