Kämpferisch schreien, toben und auf seinem Standpunkt beharren? Nachgeben oder sogar aufgeben? Oder lieber nach Kompromissen suchen?
Im Grunde meines Herzens bin ich eher der harmoniebedürftige Typ. Nicht zu verwechseln mit harmoniesüchtig, da sind mir meine Bedürfnisse und Anliegen wichtig genug. Aber ich muss nicht auf Biegen und Brechen einen Streit vom Zaun brechen, um meine Meinung platzieren zu können. Das war nicht immer so.
In den letzten drei Jahren habe ich im Rahmen meiner Ausbildung in der Lehrtherapie viel und hart an mir und meinen Themen gearbeitet. Meine belastende Kindheit mit meinen psychisch kranken Eltern und die damit verbundenen Traumas standen dabei im Vordergrund. Aber auch Themen wie Aggression und unterdrückte Wut gehörten dazu. Das wundert vielleicht jetzt solche, die mich nicht so gut kennen, denn eigentlich bin ich ein sehr friedliebender Mensch. Aber irgendwo, tief in mir versteckt, sass ein unterdrücktes, kleines, aber sehr aggressives Teufelchen, das jeweils nur auf die „richtige“ Gelegenheit wartete, um sich in seiner ganzen Hässlichkeit zu zeigen.
Gerade wenn ich eins über den Durst getrunken habe, konnte es vorkommen, dass ich ziemlich garstig werden konnte, wenn mein Gegenüber eine andere Meinung vertrat. Die eine oder andere an sich harmlose Diskussion endete dadurch in einem wüsten Streitgespräch. Solche Gespräche sind absolut destruktiv. Es gibt keinen Gewinner, nur Verlierer. Unter Alkoholeinfluss sollte definitiv nicht gestritten werden. Enthemmte Gefühle sind ein ganz schlechter Begleiter. Solche Diskussionen sind unfruchtbar und Nerv tötend. Haben beide Parteien zu viel intus, kann es wirklich ganz übel zu und her gehen. Was zurück bleibt sind Wut und ungute Gefühle in der Magengegend, ein schlechtes Gewissen oder die Angst, dass etwas zwischen mir und der anderen Person kaputt gegangen ist.
Streit findet dann statt, wenn man sich in einer Sache nicht einig ist, wenn man sich unverstanden fühlt oder Bedürfnisse und Wünsche ignoriert werden. Um zu streiten spielen in der Regel unterschiedliche Orientierungen und Bewertungen im Hinblick auf einen Sachverhalt eine wichtige Rolle. Gegen das Streiten ist eigentlich nichts einzuwenden, nur ist es in der Praxis leider oft so, dass Streit von persönlichen Merkmalen geprägt ist wie Hass, Neid, Geltungsdrang, Eifersucht oder Missgunst.
Streiten kann man nicht alleine. Es braucht mindestens zwei Menschen, welche die (innere) Bereitschaft haben, zu streiten. Streit ist unvermeidbar. Und obwohl ich ihn nicht mag, ist er manchmal sogar sehr wichtig. Wichtig für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine gute, stabile Beziehung oder Freundschaft, egal ob Mann oder Frau, deren Fundament gut ist, verträgt einen Streit alleweil. Eine niveauvolle Streitkultur kann sogar dazu beitragen, dass das Fundament einer Beziehung stabiler wird und man gestärkt aus einem Konflikt hervorgeht.
Meiner Ansicht nach kommt es lediglich darauf an, WIE man streitet. Und auch wie oft. Es gibt Paare, die ständig im Clinch sind und sich wegen jeder Kleinigkeit in die Haare geraten. Ständige Sticheleien und Reibungen prägen deren Alltag. Hier lohnt es sich bestimmt, in die Tiefe zu gehen und die wahre Ursache zu suchen.
Wie aber streitet man sich kompetent? Wer sich mit Psychologie beschäftigt, kennt sicher den einen oder anderen Streitratgeber. Häufig wird dort die sanfte Streitmethode vorgestellt. Also nicht rumschreien, keine direkte Kritik, Ich-Botschaften vermitteln, Bedürfnisse äussern, sachlich bleiben. Sätze wie „immer machst du dieses oder jenes“ oder noch schlimmer – „du bist genau wie deine Mutter“ sollten tunlichst vermieden werden.
Doch ist das Blut einmal in Wallung geraten, ist es gar nicht so einfach, sich an diese Streitregeln zu halten. Gemäss neuen, modernen, psychologischen Studien muss man sich nicht mehr komplett verbiegen, um kompetent streiten zu können. Und das ist gut so, meine ich.
Man sollte beim Konflikt nicht allzu kämpferisch sein, aber auch nicht allzu nachgiebig. Falls möglich, sollte man es vermeiden, sich während des Konflikts zurück zu ziehen und des lieben (vorübergehenden) Friedens Willen nachzugeben. Diese Vermeidungsstrategie kann beim Gegenüber sogar das Gefühl auslösen, als interessiere sich der Andere gar nicht für das Problem. Man sollte auch keine „falschen“ Zugeständnisse machen, denn sonst staut sich Wut und Frust an, die das eigentliche Problem langfristig überschatten und die Gefühlswelt negativ dominieren. Unterdrückte Gefühle können Menschen auf lange Sicht sogar krank machen.
Bei einem Streit ist es von Vorteil, wenn man bemüht ist, Kompromisse zu finden. Das hat zudem den äusserst positiven Effekt, dass man dem Gegenüber gleichzeitig signalisiert, dass man zuhört, auch wenn die Meinungen und Ansichten auseinander gehen.
Ein bisschen kämpferisch, nicht zu nachgiebig, kein Rückzug und die Suche nach Kompromissen. Das alles klingt leichter, als es in Tat und Wahrheit ist. Sich zu streiten, ist beinahe schon eine Kunst. Es gibt kein richtig oder falsch, aber ein besser oder schlechter. Das auf jeden Fall. Vielleicht ist es einfach schon hilfreich, wenn einer mal sagt: „Ja, da bist du anderer Meinung wie ich.“ Dies sachlich auszusprechen, kann wie ein kleines Wunder wirken. Ich hab’s selbst schon ausprobiert und es hat funktioniert. Man muss einfach im rechten Moment daran denken.
Hier noch ein Zitat von Gotthold Ephraim Lessing, welches mir zum Thema „Streiten“ besonders gut gefällt:
„Es sei, dass noch durch keinen Streit die Wahrheit ausgemacht worden, so hat dennoch die Wahrheit bei jedem Streit gewonnen. Der Streit hat den Geist der Prüfung genährt, hat Vorurteil und Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten; Kurz. Hat die geschminkte Unwahrheit verhindert, sich an die Stelle der Wahrheit zu setzen.“
Sehr interessant! Danke ☺
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Streit oder Konflikte sind der Ausdruck eines lebendigen Zusammenlebens. Ausdruck von einem aktiven Miteinander. Diese Aussage kann sehr entlastend sein und im Streit helfen, die passenden Worte zu finden.
Sonnige Grüße
Jana
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Da stimme ich dir voll und ganz zu. Herzlich, Franziska
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Ich kenne das extreme Gegenteil. Eine Umgebung in der nie gestritten wurde. In der nie einer offen seine Bedürfnisse angesprochen hat und jeder versucht hat es dem anderen recht zu machen ohne zu Wissen was das eigentlich sein sollte. Quasi eine Implosion einer Beziehung.
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Mhh, so ganz ohne auseinandersetzungen scheint ein gemeinsames vorankommen schwierig. Da ist das magengeschwür oder ähnliches vorprogrammiert, oder itre ich mich? Danke für deinen interessanten kommentar. Lg, franziska
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Das ist ein spannendes Thema 🙂
Ich wuchs auf mit der „Mutation“ des „Wenn Du nicht tust oder bist, wie ich es erwarte, dann habe ich dich nicht mehr lieb.“
Jahrzehntelang lebte ich auch meine Beziehungen in dieser (unbewußten) Angst. Ich war unterwürfig und (an-)dienend.
Mein jetziger Mann hat das sehr schnell durchschaut und den Hintergrund erfaßt. Es gefiel ihm nicht. Auf dieser Ebene wollte er keine Beziehung führen und er nutzte jede Möglichkeit, um meinen Widerstand zu provozieren. Auch, um mit mir darüber zu reden; zu reflektieren und mir seine Gründe nachfühlbar zu machen.
Der Anfang unserer Beziehung war nicht einfach – ich überließ ihm jedwelche Entscheidung und zeigte mich völlig willenlos. Scheute jede Auseinandersetzung oder Konfrontation.
Erst mit den Jahren tastete ich mich immer weiter vor und übte, mich zu artikulieren in meinem Wollen. Auch, das Gefühl auszuhalten und zu durchwandern, Furcht zu haben, seine Liebe zu verlieren.
Inzwischen bin ich mir fast zu 80% sicher, ihn niemals zu verlieren.
Jedenfalls nicht aus dem Grund, dass ich nicht will oder tue, was er sich von mir wünscht oder erhofft.
Wir streiten mutig, offen und ehrlich. Und wir haben inzwischen die „Fallen“ beim Streiten erkannt und können sie zum Glück auch oft während eines Streits entlarven. So kommt es öfter vor, dass wir mittendrin zu lachen beginnen. Uns umarmen, küssen und den Kopf schütteln über unser dringendes Bedürfnis, manches Mal bei den kleinsten Lapalien unbedingt Recht haben zu wollen.
Vieles, über das man streitet, ist im Großen Ganzen so furchtbar klein und nichtig.
Es ist für mich sehr wohltuend und heilend zu erfahren und erfühlen, dass wahre Liebe nicht verlierbar ist, nur weil man etwas nicht will, wie der Partner es erhofft.
Auch, wie viele Möglichkeiten von Kompromissen zur Verfügung stehen.
Und wie wahnsinnig befreiend es ist, wenn die Angst geht.
Und man sich am Partner reiben darf, wie der Bär am Baum.
Dieser Baum fällt nicht.
Er tut einfach nur gut, wenn er am Pelz kratzt und reibt – und man dabei altes Fell und Hautschuppen verliert.
Und der klare Blick einkehrt; man sehend und verstehend wird.
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