Es gibt Kinder, denen passieren ganz furchtbare Dinge. Kinder in Kriegs- und Krisengebieten, Kinder gewalttätiger Eltern, Kinder, die sexuell missbraucht wurden, Kinder, die entführt wurden. Viele zerbrechen an der übermassigen Belastung, sind traumatisiert, finden den Weg ins Leben nur schwer. Und dann gibt es die Kinder, die sich trotz Traumatisierung und schwerer Belastung relativ unbeeinträchtigt entwickeln. Zwei bekannte Beispiele sind Bill Clinton und Natascha Kampusch. Clinton litt als Kind unter einem alkoholabhängigen und gewalttätigen Vater. Abgesehen davon, dass er eine Affäre hatte, die dummerweise bekannt wurde und die er dann nochmals dummerweise zuerst abgestritten hat, ist aus Klein Bill ein erfolgreicher und mächtiger Mann geworden. Und Natascha Kampusch? Sie wurde als 10jähriges Mädchen entführt und schaffte 3096 Tage später die Flucht aus dem Haus des Entführers. 3096 Tage! Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, was das für ein kleines Mädchen bedeutet. Und dann geschah für viele das Unfassbare: Natascha Kampusch entsprach so ganz und gar nicht dem Bild eines Entführungsopfers. Es gab sogar Stimmen, die an ihrer Geschichte zweifelten. Eine gefasste, junge Frau berichtete sachlich über ihr Martyrium. Worin liegt das Geheimnis der Stärke solcher Kinder? Psychologen haben einen Namen dafür: Resilienz. Diese Menschen verfügen über eine Lebenseinstellung, die den Blick zuversichtlich nach vorne richtet. Ihre Haltung beruht auf Gelassenheit und Selbstsicherheit. Sie sind stärker im Nehmen als andere. Es ist, als hätten sie einen Schutzpanzer auf ihrer Seele. Natürlich gibt es Menschen, denen es leichter fällt, nach einem Schicksalsschlag wieder aufzustehen. Eine solche Person muss Schweres zweifelsohne gut aushalten und verarbeiten können. Um ein Trauma unbeschadet zu überstehen, braucht es auch eine Portion (emotionaler) Intelligenz und in grossem Masse die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen. Es ist ebenso von Vorteil, wenn man schwierige Situation nicht einfach als gegeben betrachtet, sondern diese als Herausforderungen ansieht. Zudem ist es hilfreich, wenn man sich nicht an seine Gewohnheiten klammert sondern stattdessen offen für Veränderungen im Leben ist. Eine optimistische Grundhaltung ist von grossem Vorteil, um traumatisierende Ereignisse unbeschadet zu meistern. Christina Berndt, Autorin des Buches „Resilienz, Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft (10. Auflage, 2014) beschreibt den Begriff Resilienz wie folgt: „Resilienz ist nicht nur eine Eigenschaft, ein Wesensmerkmal oder die Summe von Charakterzügen. Neben solchen Persönlichkeitsfaktoren spielen auch Umweltfaktoren eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung der psychischen Widerstandskraft. Keine noch so starke Persönlichkeit überlebt in einer komplett widrigen Umgebung; und an sich schwache Persönlichkeiten können durch ihr Umfeld so gestärkt werden, dass ihnen die Bewältigung von Krisen an Ende leichter möglich ist als hartgesottenen Zeitgenossen.“ Wer meinen „Brief an meine Mutter“-Blog gelesen hat, weiss, dass ich aus einem Elternhaus komme, wo sowohl meine Mutter als auch mein Vater psychisch krank waren. Meine Mutter litt zudem unter Alkohol- und Tablettenabhängigkeit sowie Zwangsstörungen. Als ich mit 4 Jahren in den Kindergarten kam, habe ich für meine Zeichnungen lediglich zwei Farben benutzt: braun und schwarz. Die Kindergartenlehrerin hat mich darauf angesprochen, ob es bei mir zuhause Schwierigkeiten gäbe. Weinend habe ich ihr über die Probleme zuhause berichtet. Aufgrund dieses Vorfalls wurde dann für mich ein geeigneter Platz in einer Pflegefamilie gesucht und gefunden. Ich war als 4jährige noch nicht in der Lage mich mit Worten an eine erwachsene Bezugsperson zu wenden. Doch meine Zeichnungen waren ein Hilferuf. Der Hilferuf eines 4jährigen Mädchens. Christina Berndt spricht in ihrem Buch von „Ausbildung der psychischen Widerstandskraft“. Daraus sowie aufgrund eigener Erfahrungen schliesse ich, dass Resilienz ein Prozess ist, der sich aufgrund der Entwicklung eines Kindes altersentsprechend verändert respektive entwickeln kann.
Ich kann das Buch von Christina Berndt jedem empfehlen, der genug davon hat, in die Abgründe seiner Seele zu blicken und vielmehr daran interessiert ist, die innere Stärke zu suchen und zu nutzen.