Wenn Zwänge ein Leben beherrschen / Teil I

Seit ich denken kann, leidet meiner Mutter an Zwangsstörungen. Auch heute noch. Ihr Alltag im Pflegeheim ist geprägt davon. Betroffene leiden meist Höllenqualen. Aber auch für Angehörige ist die Situation alles andere als einfach.

Es gibt verschiedene Formen von Zwängen. Ich denke, am Bekanntesten sind Kontrollzwänge oder Wasch- und Reinigungszwänge. Es gibt aber auch Symmetrie- und Ordnungszwänge, Sammelzwänge, Zählzwänge, religiöse oder sexuelle Zwangsgedanken. Zwangsgedanken sind immer negativ und angsteinflössend. Oftmals haben sie einen aggressiven Charakter. Es sind Gedanken, die kaum auszuhalten sind.

Rituale, Routinen vs Zwänge

Nicht jedes zwanghafte Denkmuster oder Verhalten ist zwingend auch eine Störung. Viele Menschen haben Rituale und Routinen, die sie täglich auf die gleiche Art und Weise ausführen. Das ist völlig normal, denn sie helfen uns, den Alltag oder die Arbeit besser zu strukturieren.

Viele Menschen prüfen beim Verlassen der Wohnung, ob der Herd ausgeschaltet ist oder die Türe geschlossen ist. Wenn man aber den Herd zigfach überprüfen muss, bevor man das Haus verlässt, dann ist dies bereits ein Zwang. Hierbei handelt es sich um einen Kontrollzwang. Ohne diese Kontrollen ist ein Verlassen der Wohnung nicht mehr möglich.

Meine Mutter hatte diesen Zwang über viele, viele Jahre. Als Kind musste ich oft mit dabei stehen und bestätigen, dass der Herd auch wirklich ausgeschaltet ist. Sie hat dann fünf Mal hintereinander „ausgeschaltet“ gesagt und dabei jeden Einstellknopf einzeln berührt. Manchmal machte sie das alleine, aber sehr oft musste ich oder mein Vater dabei helfen. Dazu mussten wir das Gesagte immer wiederholen.

Dasselbe beim Aschenbecher und beim Abschliessen der Wohnungstüre.

Co-Abhängigkeit 

Die Zwänge meiner Mutter haben meinen Vater und mich unglaublich viel Zeit und Nerven gekostet. Ich erinnere mich gut an das Gefühl, welches jeweils von mir Besitz ergriff – es war eine Mischung aus Unruhe und Hilflosigkeit. Manchmal hätte ich einfach nur gerne laut losgeschrien: „Hör endlich auf damit und lass uns endlich losgehen.“

Hierbei handelt es sich um einen klaren Fall von Co-Abhängigkeit. Ich habe meiner Mutter zwar vermeintlich bei ihren Zwängen geholfen, aber in Tat und Wahrheit habe ich diese durch mein Zutun unterstützt. Aber als Kind ist man sich solcher Mechanismen noch nicht bewusst. Schliesslich wollte ich mit meiner Mutter rausgehen und habe das somit in Kauf genommen.

Hinzu kam ein weiterer Zwang – der Ordnungszwang. Beim Ordnungszwang dominiert das zwanghafte ordnen und symmetrische Ausrichten von Gegenständen. Bei meiner Mutter waren dies die Kleider- und Pulloverstapel im Schrank. Auch hier waren mein Vater und ich in die Zwangshandlung involviert.

Fortsetzung folgt…

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

2 Kommentare zu „Wenn Zwänge ein Leben beherrschen / Teil I

  1. Hallo Franzi ,
    als wir mit meiner Mutter mal 150 km zurück fahren mussten weil sie überzeugt war sie hätte das Bügeleisen angelassen , dem war allerdings nicht so , habe ich mir für sie einen ganz simplen Trick einfallen lassen der sich langjährig bewährt hat. Wir haben eine Strichliste angelegt mit all den für sie wichtigen Abläufen um sicher zu sein dass alles in Ordnung war. Sie selbst hat dann jeden Handgriff abgehakt und die Liste in die Handtasche gesteckt. Da der E-Herd einen eigenen Stromkreis hatte haben wir einfach die Hauptsicherung ausgeschaltet . Immer wenn Mama unsicher wurde hat sie dann auf die Liste geschaut und war beruhigt .
    Wir haben nie wieder eine Fahrt unterbrechen müssen.

    v.G.
    von der wolfskatze …. 🙂

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