Co-Abhängigkeit und Partnerschaft

Damit wir Liebe, Nähe und Intimität erleben können, müssen wir uns selbst lieben und uns nahe sein. Was in der Theorie durchaus logisch und vernünftig klingt, ist in der Realität für ganz viele Menschen nicht so einfach umzusetzen.

Oft gelingt es mir, aber längst nicht immer. Ich komme aus einer dysfunktionalen Familie. Depression, Abhängigkeit, Intellektualisierung und Zwanghaftigkeit haben einen grossen Teil meiner Kindheit geprägt.

Nüchtern betrachtet, sind dies schwierige Voraussetzungen, um sich selbst bedingungslos lieben zu können. Ich hatte jedoch schon früh im Leben das grosse Glück, auch andere Familien kennen- und schätzen zu lernen.

Viele Kinder aus dysfunktionalen Familien fühlen sich falsch, schlecht, wertlos, nicht liebenswert, unwichtig und unzulänglich, weil sie in ihrem Leben nie etwas anderes als die eigene Familie kennengelernt haben.

Wenn man aus so einer Familie stammt wie ich, ist es schwierig, sich komplett davon zu distanzieren und man gerät immer wieder in die Falle der Co-Abhängigkeit. Auch und gerade in der Partnerschaft. Es ist von entscheidendem Vorteil, wenn man seine Lektionen des Lebens frühzeitig gelernt hat und sich nicht auf eingespielten Verhaltensmustern ausruht oder an tief verankerten Glaubenssätzen festhält.

Meine Eltern haben es nicht geschafft, mir das Gefühl zu vermitteln, dass ich geliebt werde und ich so wie ich bin, in Ordnung bin. Meine Eltern stammen ebenso aus dysfunktionalen Familien und haben es nie gelernt, sich selbst zu lieben. Mein Bedürfnis nach Liebe konnten sie deshalb nicht erfüllen. Das zu erkennen ist das Eine, damit zu leben etwas komplett anderes.

 Co-Abhängigkeit in der Partnerschaft

Co-Abhängigkeit kennen viele Menschen im Zusammenhang mit Angehörigen oder Partnern von Suchtkranken. Co-Abhängigkeit ist aber weit mehr als das, denn das Ego der Menschen ist von der Bestätigung durch Andere abhängig. Das Ego ist der Überzeugung, dass Selbstachtung und Glück durch andere kommen. Anstatt sich selbst zu sein, verbiegen sich viele und tun ständig oder immer wieder Dinge, die ihnen eigentlich nicht entsprechen oder die sie nicht mögen. Sie biegen sich zurecht anstatt sich selbst zu sein. Dadurch erhoffen sie sich vom Partner ein bestimmtes Verhalten (Bestätigung, Anerkennung, Liebe), im irrwitzigen Glauben, dass, wenn der Partner darauf anspringt, sie dann glücklich werden. Wenn dies jedoch nicht gelingt, werden sie wütend, aggressiv, beleidigt oder rechtfertigen sich in der Hoffnung, dass sie damit den Partner dazu bringen, ihnen die erwünschte Aufmerksamkeit und Bestätigung zu schenken. Ein fataler Irrtum auf Kosten der Selbstachtung und doch ist es für die Betroffenen kein Leichtes, aus diesem Teufelskreis auszubrechen.

Das Erstaunliche dabei: In unserer Gesellschaft funktionieren die meisten Beziehungen exakt nach diesem Schema. Ich frage mich gerade, wie viele mir da wohl zustimmen werden.

Mir ist das leider nicht unbekannt. In früheren Beziehungen war dieses Verhalten noch weit stärker ausgeprägt als dies heute der Fall ist. Ja, gewisse Lektionen sind hart, aber ich lebe, lerne und das Allerbeste – ich liebe. Aus tiefstem Herzen.

Die krampfhaft betriebene Suche nach Bestätigung und Anerkennung durch den Partner hat ihren Preis. Wenn man sein Glück von anderen Menschen abhängig macht, sind der Schmerz und das Leid vorprogrammiert, und zwar für beide Partner.

Es bleibt weit mehr auf der Strecke als nur die sogenannte Selbstachtung. Denn kein noch so liebevoller, aufmerksamer und verständnisvoller Mensch ist in der Lage, diesen Ansprüche langfristig gerecht zu werden.

Die Lösung liegt auf der Hand respektive im Herzen.

Ein Herz, das offen ist – für die bedingungslose Liebe zu sich selbst und somit auch zu anderen Menschen.

Quelle: Erika J. Chopich, Margaret Paul / Aussöhnung mit dem inneren Kind (2012)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

Ein Kommentar zu „Co-Abhängigkeit und Partnerschaft

  1. Großartiger Beitrag – entspricht genau meiner Ansicht und dem, was ich lernen durfte und musste. Wenn man bereit ist, aus der Vergangenheit zu lernen und die schmerzhafte Lektion zu verinnerlichen, dann ist man am Ende dieses Weges – wie ich finde – sogar tendenziell noch weiter als so manche Menschen mit glücklicher Kindheit, die nie einen Grund hatten, über dieses Prinzip nachzudenken.
    Andererseits kann man dieses Prinzip so verinnerlichen, so sehr lernen, ohne die Bestätigung eines Partners zurechtzukommen, dass es einem irgendwann schwer fällt, sich überhaupt wieder auf jemanden einzulassen – weil man Angst davor hat, in alte Muster zurückzufallen. Ich zum Beispiel bin zu vorsichtig geworden, ZU kontrolliert. Das kann eine schwierige Gratwanderung sein – aber man lernt ja nie aus und der erste Schritt ist ja immer, solche Dinge zu erkennen 😉

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