Partnerwahl – Ziehen sich Gegensätze wirklich an?

 

Bei der Partnerwahl ziehen sich Gegensätze bekanntlich an. Das ist jedoch nur bedingt richtig. Oft sind es nämlich nur scheinbare Gegensätze. Gemeint ist damit, dass es häufig ähnliche Hintergrundgeschichten, aber gegensätzliche Bewältigungsstrategien gibt. Klingt kompliziert? Ist es aber nicht, denn was auf Menschen wirklich anziehend wirkt, sind Ähnlichkeiten in der Familiengeschichte und/oder ähnlich verpasste Entwicklungsschritte.

Beispiele für Entwicklungsschritte

Mütterliche Fürsorge lernt uns zum Beispiel Grundvertrauen. Das wiederum gibt uns die Fähigkeit, für andere sorgen zu können. Liebende Festigkeit im Elternhaus kann uns dabei tatkräftig unterstützen, damit wir uns in der Welt behaupten können, gleichzeitig aber in der Lage sind, Rücksicht auf andere zu nehmen. So lernen Kinder trotz elterlicher Autorität, sich im Umfeld von Gleichaltrigen frei zu bewegen.

Wenn wir Entwicklungsschritte verpassen, ist es nicht (nie!) zu spät, diese zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Als Erwachsene braucht es dafür jedoch deutlich mehr Aufwand. Die Ersatzerfahrungen wählt man oft unbewusst. Wenn dies eintrifft und uns ein potentieller Partner über den Weg läuft, richten wir unseren Fokus auf die Eigenschaften, welche es uns ermöglichen, den verpassten Entwicklungsschritt nachzuholen. Ein verpasster Entwicklungsschritt bewirkt so Anziehung durch selektive Wahrnehmung.

Ein grosser Teil unserer Wahrnehmung ist und bleibt unbewusst. Wir nehmen Gefühle wahr wie beispielsweise Sympathie oder Antipathie. Wir fühlen uns in der Gegenwart eines Menschen wohl oder unwohl, geborgen oder einsam. Wir empfinden zwar ein Gefühl, wissen aber oft nicht, worauf es beruht. Bereits bei der ersten Begegnung mit einem Menschen laufen in uns zig unbewusste Dinge ab. Wie bewegt sich unser Gegenüber, wie spricht er oder sie, sein/ihr Gesichtsausdruck, die Gestik, die Mimik – all diese Dinge nehmen wir in den ersten Sekunden der Begegnung wahr. In Sekundenschnelle und ohne bewusstes Steuern, checken wir diese Eindrücke mit unseren Erfahrungen ab. Und daraus resultiert dann unser Gefühl.

Claudia und Jürg

Claudia ist schüchtern und zurückhaltend. Ein zartes Pflänzchen. Niemals würde sie sich in den Vordergrund drängen. Sie ist intelligent, traut sich aber zu wenig zu. Ihr Vater war früher beruflich viel auf Achse und sie verbrachte viel Zeit mit der Mutter. Die Mutter ist ein sehr häuslicher Typ und verbrachte die meiste Zeit zu Hause. Für den Lebensunterhalt war der Vater zuständig. Claudia liebt ihre Mutter über alles, ihr fehlt jedoch die liebende Festigkeit des Vaters.

Jürg strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Er ist ein Leader und hat bereits die ersten Schritte auf der Karriereleiter erklommen. Er ist witzig und unterhaltsam. Aufgewachsen ist er in einem intakten Elternhaus. Vater und Mutter waren beide erwerbstätig. Sein Vater verlangte viel von ihm. In der Schule, beim Sport. Immer musste er der Beste sein. Der Vater zeigte jedoch wenig Anerkennung. Anerkennung, nach der Jürg ein Leben lang gesehnt hat.

Claudia und Jürg lernen sich auf der Party eines gemeinsamen Bekannten kennen. Sie verstehen sich auf Anhieb. Claudia nimmt unbewusst wahr, dass Jürg etwas verbirgt. Etwas, das sie auch kennt. Nur zu gut kennt. Christoph fasziniert sie und sie fühlt sich von ihm angezogen. Auch er spürt die Anziehung. Sie beruht auf Gegenseitigkeit.

Auf den ersten Blick scheint der Fall klar – Gegensätze ziehen sich an. Claudia, das schüchterne Mauerblümchen. Jürg, der selbstbewusste Entertainer.

Doch sowohl bei Claudia als auch bei Jürg spielt der Vater eine zentrale Rolle in der Entwicklung. Beide haben von ihren Vätern nicht das bekommen, was sie gebraucht hätten. Im Gegensatz zu Claudia hat Jürg sich schon sehr früh vorgenommen, seinem Vater zu beweisen, dass er stolz auf ihn sein kann. Unbewusst kämpft er als Erwachsener um dessen Anerkennung. Claudia hingegen hat auch als Erwachsene nicht gelernt, sich im Leben zu behaupten.

Wir Menschen haben einen starken Wunsch nach Vollständigkeit und Erfüllung. Das macht uns wach, für die geheimen Zeichen, die uns Glück und Ganzheit versprechen.

Die Faszination bringt zum Ausdruck, welche Sehnsüchte tief in uns verborgen liegen. Claudia ist auf der Suche nach Erfüllung – nach etwas, das ihr im Leben abhanden gekommen ist. Sie will sich endlich vollständig, bestärkt und glücklich fühlen.

PS: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht absichtlich.

Und ihr so? Gegensätze ziehen sich an? Oder eher gleich und gleich gesellt sich gern? Was sind eure Erfahrungen?

Quelle: Robin Skynner/John Cleese, …Familie sein dagegen sehr

 

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

4 Kommentare zu „Partnerwahl – Ziehen sich Gegensätze wirklich an?

  1. Das ist wieder ein sehr lehrreicher und interessanter Beitrag, Franziska.
    Meine Erfahrungen: Es sind die Gegensätze, die sich stets anzogen.
    Ich sage immer: Wenn einer so wäre wie ich, dann würde ich mich zu Tode langweilen oder zu Tode introvertieren.
    😉

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  2. Njein. Es gibt Persönlichkeitstypen, die sich vom Gegensatz her bereichern. Von daher ja. Wenn ein extrem zurückgezogener Typ an einen extrem dominanten Typ gerät wäre das für ersteren nicht so gut. Und da gäbe es noch weitere Beispiele.
    Das Wichtige bei unterschiedlichen Typen in der Partnerschaft ist dann, dass man sich nach 20 Jahren immer noch als Ergänzung sehen kann und nicht als Gefahr, weil man so eingefahren ist.

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