In der Psychologie gibt es den Begriff „Agency“. Was genau bedeutet dieser Begriff? Was verbirgt sich dahinter?
Die Agency ist eine alte Überlebensstrategie, die wir uns in der Regel als Kind angeeignet haben, um Liebe und Zuneigung zu gewinnen respektive auf gar keinen Fall zu verlieren.
Geprägt wurde der Begriff von Jack Lee Rosenberg und Beverly Kitaen Morse. Sie gingen der Frage nach, warum so viele Menschen sowohl in Beziehungen als auch im Beruf ihr Bestes geben um dann die Erfahrung zu machen, dass sie nicht das bekommen, was sie sich wünschen und dabei zunehmend ausgepumpt und erschöpft werden.
Agenten und Agentinnen (ja, es gibt auch männliche Agenten) tun so einiges, damit ihr Gegenüber sie mag. Sie stellen dafür sogar ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. Sie sind wahre Meister darin, die Bedürfnisse Anderer zu erspüren und zu erfüllen.
Es gilt das Motto: „Nur ja niemanden enttäuschen.“ AgentInnen neigen dazu, sich für das Befinden von anderen verantwortlich zu fühlen. Um andere glücklich zu machen, helfen sie, wo es nur geht. Ohne auf die eigenen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Viele AgentInnen laufen so Gefahr, über die eigenen Grenzen hinwegzusehen und irgendwann ausgepumpt und leer zu sein.
Das Verhältnis zwischen meiner psychisch kranken Mutter und mir war dann jeweils am Besten, wenn ich ihr in irgend einer Art und Weise geholfen habe. Beim Einkaufen, beim Aufräumen, beim Kauf von Alkohol oder wenn ich Papa nicht erzählt habe, dass sie schon wieder viel zu viel getrunken hatte. Dann war ich ein gutes und braves Mädchen und ich fühlte mich von meiner Mutter geliebt.
Es ist nicht einfach, von diesen alten Verhaltensstrukturen loszukommen. Rückblickend erkenne ich sogar, dass mein Wunsch Krankenschwester zu werden unter anderem daran gescheitert ist, weil ich von den Patienten mehr Dankbarkeit und Anerkennung für meine Leistung in der Pflege erwartet habe. Damals habe ich aber noch nicht erkannt, dass diese Enttäuschung nichts mit den Patienten zu tun hat sondern einzig und allein mit MIR. Mit mir und meinen unerfüllten Bedürfnissen, weil ich nämlich erwartete, für meine geleistete Hilfe etwas zurück zu bekommen, um mich besser zu fühlen.
Es allen Leuten Recht zu tun, ist tatsächlich eine Kunst, die niemand kann und auch nicht muss. Es ist jedoch eine Tatsache, dass ich Anderen gerne etwas zuliebe mache – sehr gerne sogar. Das bestätigt auch die Wahl meiner im April 2015 beendeten dreijährigen Ausbildung zur Einzel-, Paar- und Familienberaterin.
Im Gegensatz zu früher helfe ich heute gerne, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Und darin liegt der grosse Unterschied zu früher.
Natürlich ist es toll, wenn jemand „Danke schön“ sagt und damit seine Freude und Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Ich denke, das ist das Mindeste, was man von einem Menschen erwarten darf, wenn man ihm etwas zuliebe tut oder ihm hilft. Das meine ich aber nicht damit, wenn ich davon spreche, keine Gegenleistung zu erwarten.
„Ohne eine Gegenleistung zu erwarten“ heisst in diesem Fall, dass man dem Anderen zuliebe etwas tut, ohne zu erwarten, dadurch die eigene emotionale Unzulänglichkeit befriedigt zu bekommen.
Früher war ich mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen weniger in Kontakt als ich das heute bin. Ich bin durchaus in der Lage, mich für meine Interessen einzusetzen und lasse dem Gegenüber (hoffentlich) genügend Raum, seine Bedürfnisse einzubringen und zu vertreten.
Bei der Agency Geschichte geht es nicht darum, gar nicht mehr zu helfen oder für jemanden da zu sein. Wenn man jemanden etwas zuliebe tut, sollte der Ansporn dafür jedoch dem eigenen innersten Bedürfnis entsprechen, dem Anderen etwas zuliebe zu tun. In meinen Augen findet so wahre Nächstenliebe statt. Nämlich unter der Voraussetzung, dass man seinen Nächsten so liebt wie sich selbst.
Steckt in dir ein (heimlicher) Agent? Oder bist Du als Agentin schon ein Leben lang auf einer unbefriedigenden Mission unterwegs?