Matura – ein Must-have oder der gymnasiale Albtraum?

Ein Repost vom 16. Dezember 2014

Immer wieder ist in den Medien davon die Rede, dass Lehrstellen nicht besetzt werden können. Ist die Jugend von Heute tatsächlich dem Akademisierungswahn verfallen? Oder eher deren Eltern?

Vorgestern wurde auf ARD „Polizeiruf 110“ ausgestrahlt. Die Schule als Schauplatz des alltäglichen Horrors. Gestresste, desillusionierte und überforderte Lehrkräfte. Schüler an der Grenze ihrer Belastbarkeit und Eltern, die vom Ehrgeiz regelrecht zerfressen sind. Da ist die Bombe, die im Büro der Rektorin hoch geht, weit mehr als nur ein Zeichen der äusserst explosiven Stimmung.

Ein Satz der Rektorin hat mich dazu gebracht, diesen Blog zu schreiben. Sie sagte: „Nicht jeder muss Abitur machen“. Und ich muss sagen: „Ja, die Frau hat so was von Recht!“ Recht, recht und nochmals recht!

Gerade in der Schweiz haben wir ein so gutes Bildungssystem, dass man, wenn man das Studium an der Uni oder ETH wirklich, aber auch wirklich will, auch auf dem 2. Bildungsweg die gymnasiale Matura nachholen kann. In unserem Land führen wirklich verschiedenste Wege nach Rom. Es gibt Fachmittelschulen mit Fachmaturität Berufslehren inklusive Berufsmaturität BMS I und II, um nur einige davon zu nennen.

Was soll an einer Berufslehre verkehrt sein? Woher kommt bloss dieser Druck, welche gewisse Eltern auf ihre Kinder ausüben, damit die Kinder später ja (angeblich) alle Möglichkeiten offen haben. Ob jemand, der mit Ach und Krach das Gymi schafft, sich dann anschliessend durchs Studium quält, jede Prüfung verkackt und wiederholen muss, dann wirklich gut im seinem Beruf ist, sei mal dahingestellt. Ich zweifle daran!

Bestimmt wollen diese Eltern das Beste und erreichen durch die Bevormundung und den auf die Kinder abgewälzten Ehrgeiz mit Sicherheit das Gegenteil. Kein Wunder, dass sich so viele Jugendliche mit Selbstmordgedanken auseinandersetzen.

Wenn ein Kind in der Schule gut ist und vor allem Freude am Lernen hat und ins Gymnasium will, dann finde ich es durchaus richtig, dass dieses Kind das Gymnasium auch besucht.

Und um gut und effizient zu lernen, bedarf es meiner Meinung nach auch einer gewissen Reife. Um in Etwas gut zu sein, braucht es in allererster Linie eines: Spass an der Sache! Davon bin ich felsenfest überzeugt.

Auch ich hatte einen solchen Vater, der mich bis ins Erwachsenenalter immer wieder dazu drängen wollte, endlich die Maturität für Erwachsene zu machen. Erst als mein erstes Kind zur Welt kam, gab er sein Projekt „Tochter muss Matura machen“ auf. Bis dahin bekam ich sicher einmal monatlich irgendeinen Artikel zugesandt, wo die Vorzüge einer Matura beschrieben wurden. Mich hat das einfach nur genervt, denn ich wollte nie einen akademischen Beruf ergreifen.

Ich bin sogar mal ein Jahr lang ins Gymnasium gegangen, weil mein Notenschnitt in der Sekundarschule sehr gut war. Rasch habe ich aber festgestellt, dass ich mit meinem damaligen Lernverhalten im Gymi nicht besonders erfolgreich sein werde. Einmal Probezeit verlängern und Ende war. Das Ganze war mir viel zu anstrengend und schwupp, eh’ ich mich versah, musste ich Nachhilfestunden in Mathematik und Geometrie in Anspruch nehmen. Und Latein – ein Albtraum! Hinzu kam eine mir bisher gänzlich unbekannte Prüfungsangst, welche ich nur durch die Hilfe eines Psychologen und autogenem Training in den Griff bekam. Und nach jeder Prüfung der absolute Totalfrust, weil ich einfach nicht gut genug war. Ich war nicht gut genug! Ein Scheissgefühl!

Gottseidank war mein Notenschnitt am Ende so derart miserabel, dass die Übung abgebrochen werden musste. Mir fiel ehrlich gesagt ein riesengrosser Stein vom Herzen! Dieses eine Jahr hat mich eine Menge an Energie gekostet.

Auch ich bin der Ansicht, dass eine gute Ausbildung wichtig und unbedingt wünschenswert ist. Eine gute Schul- und Allgemeinbildung finde ich unumgänglich. Dafür muss mein Kind aber nicht studieren und einen Bachelor machen. Ein Papier allein reicht noch lange nicht aus, um im späteren Berufsleben erfolgreich zu sein.

Egal, welchen Weg ein Kind einschlägt, man sollte die Präferenzen des Kindes nie für seine eigenen Träume ausser Acht lassen. Das ist purer Egoismus und meiner Ansicht falsch interpretierte Fürsorge!

Ich setze einen Antitrend! Denn ich sage meiner Tochter, die jetzt die 5. Primarklasse besucht, dass ich kein Problem damit habe, wenn sie nicht ins Gymi gehen wird. Meine Tochter ist eine gute Schülerin, die jedoch genau das Minimum an Hausaufgaben- und Lernaufwand betreibt und sicher keinen Strich mehr als unbedingt nötig. Ich müsste jetzt langsam damit anfangen, den Druck zu erhöhen. Sie müsste mehr und intensiver lernen, damit der Notenschnitt besser würde. Werde ich aber nicht!

Weil auch Schüler in erster Linie Kinder sind!

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

5 Kommentare zu „Matura – ein Must-have oder der gymnasiale Albtraum?

  1. Ich teile deine Einstellung. Wir haben allen Kindern immer gesagt, sie können machen, was sie wollen. Die Grosse hatte schon einen Lehrvertrag in der Tasche, als sie Bescheid über die Aufnahme am Gymi bekam. Heute denkt sie, dass die Lehre vlt sogar von Vorteil gewesen wäre in Kombi mit der Berufsmatur, da sie etwas Pädagogisches studieren möchte und nun nach der Matur erst noch ein Jahr Praktikum einlegen muss.
    Aber damals wusste sie noch gar nicht, wohin der Weg gehen könnte und sie wollte darum erst mal weiter zur Schule.
    Für Nr.3 ist das Gymi auch eher eine Notlösung, weil sie noch orientierungslos ist. Für den Ältesten dagegen war der Weg immer klar, weil er schon früh wusste, dass er mal Geschichte studieren will.

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  2. Danke für deinen Kommentar. Du hast in dem Fall drei Kinder, die aufs Gymnasium gehen oder gingen. Meine Grösste ist nun in der 6. Klasse und wir setzen uns drum gerade stark mit dem Übertritt in die Oberstufe auseinander. Herzlich, Franziska

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  3. Ja, genau. Der Älteste fängt jetzt dann das 5.Semester an, die Grosse macht Matur und Nr.3 ist in der Tertia.
    Nr.4 hat gerade die 7.Klasse gestartet und möchte auch aufs Gymer, weil sie Kinderärztin werden will (momentan) 😀. Mal sehen, was daraus wird.

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  4. Übrigens habe ich im Bekanntenkreis mehrere Beispiele, wie sich Jungs, denen man in der Primarschule/Oberstufe nichts zugetraut hat, ganz toll „hoch gearbeitet“ haben. Einer (mit Migrationshintergrund) hat nach der Neunten ohne Lösung da gestanden. Die Eltern hatten keinen Plan und der Lehrer keinen Bock. Er hat kurzfristig (in den Sommerferien) eine Stelle gesucht, Polymechlehre gemacht, im Anschluss Berufsmatur, und möchte jetzt Lehrer werden. Ich finde das einfach super.

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