Hilfe, meine Tochter will ins Gymnasium

Oder besser gesagt, sie wollte ins Gymnasium und zwar ins Langzeitgymnasium. Das war vor fünf Tagen. Nein, will schon, aber seit vorgestern „nur“ noch ins Kurzzeitgymnasium. Ja was denn nun genau?

Bereits in der 5. Primarklasse kam das Thema Sekundarschule oder Gymnasium immer wieder auf den Tisch. Und jetzt in der 6. Klasse ist Übertritt in die Oberstufe aktueller denn je. In der Klasse meiner Tochter gibt es überdurchschnittlich viele Kinder, welche sich für die Vorbereitungskurse für die Gymnasiumaufnahmeprüfung (das Wort an sich ist ja schon beinahe ein Zungenbrecher) angemeldet haben. Anmeldeschluss für den Prüfungsvorbereitungskurs ist der 2. September 2015, das ist in diesem konkreten Fall der morgige Mittwoch.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten von diesen angemeldeten Kindern aus der Klasse meiner Tochter die Aufnahmeprüfung bestehen werden.

Das verursacht Druck. Nicht unbedingt mir, aber meiner Tochter. Und da mir meine Tochter sehr am Herzen liegt, indirekt auch mir. Das können auch die farbigen Punkte anstelle von Noten nicht verhindern. Den Druck machen sich die Kinder sowieso. Untereinander. Viele Eltern haben leider die Tendenz, das Ganze dann noch zu toppen. Enttäuschte Blicke, wenn das Kind eine Prüfung nach Hause bringt und die Note unter 5.0 liegt. Das geht gar nicht. Lernen in den Ferien sind dann beispielsweise die Konsequenzen. Und dann wundert man sich, dass viele Schulkinder bereits in ganz jungen Jahren an einem Burnout leiden.

Voraussetzung für die Aufnahme in den Prüfungsvorbereitungskurs für das Gymnasium ist ein Notendurchschnitt von 5.0 im letzten Zeugnis der 5. Klasse in Deutsch und Mathematik. Oder eine spezielle Empfehlung der Lehrperson. Meine Tochter bräuchte letzteres.

Meine Tochter ist ein äusserst intelligentes und vielseitig interessiertes Mädchen. Wenn das alleine für den Übertritt ins Gymnasium ausschlaggebend wäre, dann wäre sie mit Sicherheit längst für diese Prüfungsvorbereitung angemeldet.

Das alleine reicht jedoch nicht. Zumindest sehe ich das so. Disziplin, Fleiss, Wille und auch die Freude am Lernen, gehören ebenso dazu. Und eine gute Portion Organisationstalent. Eine sehr gute sogar. Wohlverstanden ohne dass die Eltern dahinter Druck machen. Das kommt nämlich sehr oft vor, denn bei sehr vielen Eltern steht ausser Frage, dass ihr Kind ins Gymnasium soll (muss).

Was die Hausaufgaben und das Lernen auf Prüfungen anbelangt macht meine Tochter nur das Minimum. Lernen hat ihr noch nie Freude bereitet. Ich war übrigens auch so und kann es ihr nicht verübeln. Im Gegensatz zu meiner Tochter wollte ich jedoch nie ins Gymnasium. Für meinen Vater war immer klar, dass seine Tochter, sprich ich, so was von sicher ins Gymnasium muss. Komme, was da wolle. Und so habe ich als sehr gute Sekundarschülerin doch den Übertritt ins Gymnasium versucht (gewagt) und habe, wenn auch nur knapp, die Aufnahmeprüfung auf Probe bestanden. Dieses eine Jahr Gymnasium war mein persönlicher Schulalbtraum. Mein Notenschnitt sank rapide ins Bodenlose. Der Druck war unheimlich gross und dazu gesellte sich eine mir bis dato unbekannte Prüfungsangst.

Natürlich kann und soll ich als Mutter nicht von mir auf meine Tochter schliessen. Leichter gesagt als getan, um ganz ehrlich zu sein. Und im persönlichen Rucksack ist ja auch noch der Druck da, den mein Vater bis zur Geburt meines ersten Kindes auf mich ausgeübt hat, indem er mir ständig Zeitungsartikel und Anmeldetalons hat zukommen lassen, damit ich ja nicht vergesse, dass man auch als Erwachsene noch die Möglichkeit hat, die gymnasiale Matura nachzuholen.

Und natürlich habe ich mir schon in jungen Jahren hoch und heilig geschworen, dass ich das bei meinen Kindern auf gar keinen Fall so machen werde. In der Psychologie bedeutet dieses Verhalten übrigens, dass man es zwar anders macht, aber im Endeffekt ist es eben wieder genau dasselbe. Nur umgekehrt – dasselbe in Grün. Darüber schreibe ich gerne ein anderes Mal etwas ausführlicher, da ich dieses Thema sehr spannend finde.

Wenn ich dann hie und da mit meiner Tochter am Tisch sass und wir über ihre schulische und berufliche Zukunft gesprochen haben, war ich mir dieser Tatsache durchaus bewusst und ich glaube, dass es mir gelungen ist, sachlich über die Vor- und Nachteile einer Sekundarschule und dem Gymnasium zu diskutieren. Zudem habe ich ihr auch aufgezeigt, was es später noch für Möglichkeiten gibt. In der Schweiz führen tatsächlich viele Wege nach Rom. Wir haben nämlich ein sehr gutes Schul- und Weiterbildungssystem.

Davon wollte meine Tochter jedoch nichts hören. Sie wollte ins Langzeitgymnasium und damit basta. Nach Rücksprache mit dem Klassenlehrer hatte mir dieser versichert, dass meine Tochter, wenn sie in diesen Prüfungsvorbereitungskurs will, von ihm das entsprechende Empfehlungsschreiben bekommt. Mein Mann und ich haben unserer Tochter unsere volle Unterstützung zugesichert, wenn sie diesen Weg wählt.

Dieses Gespräch war letzten Freitag. Darauf hin habe ich diese Anmeldung ausgefüllt und auf den Pult meiner Tochter gelegt. Einpacken muss sie ihn schon selber. Das ist das Mindeste. Und da liegt er nun, dieser Anmeldezettel. Als ich sie am Montag beim Mittagessen darauf ansprach, meinte sie, dass sie jetzt doch nicht ins Langzeitgymnasium wolle und sie die Anmeldung daher auch nicht dem Lehrer abgeben werde. Auf die Frage nach dem Warum, antwortete sie: „Ganz ehrlich? Ich habe doch keine Lust zwei bis drei Stunden in der Woche zusätzlich zu lernen.“ Zudem habe sie gestern erfahren, dass auch noch zwei andere sehr gute Freundinnen entschieden haben, sich nicht zum Prüfungsvorbereitungskurs fürs Gymnasium anzumelden.

Ich kann sehr gut mit dieser Entscheidung leben und bin sogar erleichtert. Denn schliesslich ist mein Mädchen erst 11 Jahre alt und in meinen Augen noch zu jung, um ihr Leben hinter Büchern respektive vor dem Pult zu verbringen. Und wie bereits erwähnt – Fleiss, Disziplin, Organisationssinn, der Wille und die Freude am Lernen sind in meinen Augen für die Wahl einer solchen schulischen Laufbahn unabdingbar.

Spiel und Spass, sich mit Freunden treffen, mit Leidenschaft und Freude einem Hobby nachgehen, das gehört meiner Meinung nach zu einem glücklichen und unbeschwerten Kinderleben. Der Ernst des Lebens beginnt noch früh genug. Mit oder ohne Gymnasium.

Natürlich wünsche ich mir für meine Tochter, dass sie eines Tages einen Beruf hat, der sie erfüllt und in dem sie erfolgreich ist. Eine Arbeit, der sie gerne nachgeht. Aber ich hoffe, dass der Weg dorthin nicht allzu steinig und schwer sein wird. Auf dem Weg eines Kindes ins Erwachsenenleben liegen auch so noch genug Stolpersteine herum. Da muss ich als Mutter nicht noch einen Felsbrocken dazu legen.

Und wenn sie es nach den ersten beiden Jahren in der Sekundarschule mit dem Kurzzeitgymnasium doch noch versuchen will, dann ist sie auch schon wieder drei Jahre älter und entsprechend reifer.

Kennt ihr diese Thematik? Wie geht ihr damit um? Freue mich auf euer Feedback.

Herzlich, Franziska

 

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

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