Wenn die Eltern tot sind: Endlich erwachsen?

Wenn die Eltern gestorben sind, wird man erwachsen. Diese oder ähnliche Aussagen habe ich schon mehrfach gehört und darüber auch das eine oder andere gelesen. Ganz ehrlich? So recht habe ich das nicht verstanden. Bis jetzt.

Mein Vater starb im Mai 2016 und am 5. Januar dieses Jahres ist ihm meine Mutter gefolgt. Nach Papas Tod vor fast zwei Jahren war ich unendlich traurig. Ich vermisste ihn sehr. Die Trauer um ihn hat mich phasenweise schier erdrückt. Mit dem Tod meines Vaters wuchsen die Sorgen um meine Mutter. Es gab wenig Stille, dafür ein Haufen Sorgen und Ungewissheit.

Trauer kommt in Wellen, wie die Wehen bei einer Geburt. Die Wellen sind weniger stark geworden und die Abstände wurden länger. Aber die Sorge um Mama blieb. Am 5. Januar durfte auch sie für immer einschlafen. Und ich konnte die Sorge um sie ablegen. Eine grosse Last ist mir von den Schultern gefallen. Ihr Tod hat für mich etwas tröstliches, anders kann ich es nicht formulieren. Und doch – sie fehlt mir. Sehr fest sogar.

Meine Eltern sind tot. Beide. Das wurde mir beim Begräbnis meiner Mutter schmerzhaft bewusst, liegt doch das Grab meines Vaters nur knapp 10 Meter von ihrem entfernt.

Auf dem Friedhof hat sich ein ganz sonderbares Gefühl in mir breit gemacht. Ich nahm Abschied und gleichzeitig fühlte ich mich nochmals geboren. Jedoch ohne Nabelschnur. Ausgespuckt und nackt. Abgenabelt. Ins kalte Wasser geworfen, irgendwie unvorbereitet und doch bereit.

„Ich bin nun die nächste.“ Ein Gedanke, der mir in letzter Zeit oft durch den Kopf schiesst. Der Tod meiner Eltern hat mich unweigerlich mit meiner eigenen Endlichkeit konfrontiert. Es ist ein Gedanke, der mir zwar etwas Unbehagen bereitet, aber keine Angst macht.

Während der letzten fünf Jahre, in denen mich meine betagten Eltern in jeder erdenklichen Art gefordert haben, ist mir vieles bewusst geworden.

Auch im Angesicht des Todes ist es möglich, das Leben zu geniessen und auszukosten. Und zu lieben. Schliesslich weiss man nie, wie lange man noch auf diesem Planeten verweilen darf.

Das Leben ist ein wunderbares Geschenk. Etwas unglaublich Kostbares. Und es endet nicht damit, dass die eigenen Eltern nicht mehr sind. Denn das Leben bekommt eigentlich erst durch den Tod einen tiefen Sinn. Ohne die Dunkelheit, erkennen wir kein Licht. Gut und Böse, hell und dunkel. Schweres wird leicht. Das Prinzip der Dualiät des Lebens.

Ich habe es erst jetzt durch dem Tod meiner Mutter verstanden. Ein Abschied, und ist er noch so schmerzhaft, ist immer auch mit einem Neuanfang verbunden. So fühlt es sich zumindest an. Tief in mir drinnen. Es hat sich etwas verändert – und es fühlt sich gut an. Irgendwie Erwachsen. Irgendwie richtig.

Das Leben geht weiter. Selbst dann, wenn sich die eigene Welt für einen Augenblick aufhört zu drehen.

Für mich ist es schön, zu wissen, dass meine Eltern immer ein Teil von mir sein werden, auch wenn sie nicht mehr da sind. Durch ihr Leben war mein Leben erst möglich. Und ich wiederum durfte meinen drei wunderbaren Kindern ihr Leben schenken. Diese Erkenntnis macht mich sehr dankbar.

Ich vermisse meine Eltern. Auch wenn unsere Beziehung keine einfache war, vermisse ich sie, und ihr Tod hat eine Lücke hinterlassen. Eine Lücke, die bleiben wird.

Was ebenfalls bleibt, ist die Liebe – sie ist unsterblich. Und für mich am Ende ganz ohne „Wenn und aber“. Ein Gefühl, welches ich zwecks Selbstschutz oft nicht zugelassen habe. Vielleicht ist es genau dieses unverfälschte reine Gefühl, welches im Hier und Jetzt den entscheidenden Unterschied macht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

8 Kommentare zu „Wenn die Eltern tot sind: Endlich erwachsen?

  1. Mein Beileid! Ich denke ab und zu auch darüber nach, dass man erst dann erwachsen wird, weil ich es auch schon mal gehört habe. Was ich seit der Geburt meines Sohnes auch manchmal denke, ist, dass je älter der Kleine wird, desto näher bin ich dem Tod.

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  2. Ich weiss es nicht. Habe schon lange keinen Kontakt mehr mit meinen Eltern, doch der Respekt und die Angst vor ihnen ist mir geblieben. Nun habe ich mich immer wieder gefragt, wie das wäre, wenn sie auf einmal nicht mehr wären. Wäre ich dann frei? Ich bin bald 50 und fühle mich manchmal immer noch als Kind. Es ist so, als hätte ich nicht das Recht dazu, erwachsen zu werden. Ich glaube aber, dass es vermutlich keinen Unterschied macht, ob sie leben oder nicht. Ich will auch nicht, dass sie sterben.

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