Verzeihen oder Vergeben: Wo liegt der Unterschied?

Gerne möchte ich euch wieder einmal mit dem Thema „Versöhnung“ respektive „Vergebung“ konfrontieren. Mir ist nämlich aufgefallen, dass die Bedeutung dieses Wortes oft nicht richtig verstanden wird.

Ein anderes Wort in diesem Kontext ist „Verzeihen“. „Ich verzeihe dir“ sollte man dann sagen, wenn man bereit ist, neu anzufangen und das Geschehene ruhen zu lassen.

Man beginnt von Vorn und verzichtet auf den Schuldvorwurf. Verzeihen ist für mich bedingungslos. Alles auf Anfang.

Versöhnung/Vergebung hingegen ist ein länger dauernder innerer Prozess, der dem Betroffenen hilft, mit einer belastenden Situation leben zu können. Versöhnung bedeutet nicht Vergessen, Billigung oder Rechtfertigung. Hingegen bedeutet Versöhnung, dass man die Verletzung(en) und deren Folgen akzeptiert. Im Guten wie auch im Schlechten. Eigentlich ganz besonders im Schlechten.

Versöhnung bedingt oft einen unheimlich grossen psychischen Aufwand – das zumindest sind meine Erfahrungen. Denn man verzeiht nicht ein Ereignis, sondern man vergibt einem Menschen. Oder anders formuliert: Man vergibt dem Täter, nicht der Tat.

Ein erster Schritt zur Versöhnung ist die Einsicht, dass ein anderer Weg, zum Beispiel Verdrängung, langfristig nicht heilsam ist und negative Auswirkungen auf das eigene Leben hat.

Den Weg der Versöhnung zu gehen ist steil und streckenweise sehr, sehr steinig, wird man doch mit Themen konfrontiert, die man lieber einfach beiseite schieben würde.

Ohne professionelle Hilfe hätte ich diesen Weg nicht geschafft. So war ich in der Lage die verletzenden Ereignisse in meiner Kindheit zu bewältigen.

Heute habe ich eine gute, mitfühlende, ja sogar eine liebevolle Beziehung zu meiner Mutter. Diese Voraussetzung ist für den Versöhnungsprozess ebenfalls von immenser Bedeutung. Für die Vergebung ist jedoch nicht der persönliche Kontakt ausschlaggebend. Bereits der wohlwollende und mitfühlende Gedanke zählt und unterstützt einen Menschen in diesen Prozess. Und im besten Fall verbessert sich, so wie bei mir, die Beziehung zu der Person, die einem verletzt hat.

Zum Zusammenhang von Vergebung und Gesundheit formuliert McCullough, ein amerikanischer Psychologe und Autor, zwei interessante Hypothesen (Quelle Wikipedia):

  1. Personen, die verletzenden Personen vergeben haben, stellen zu diesen häufig wieder eine positive Beziehung her; sie verfügen dadurch über eine größere Zahl von funktionierenden Beziehungen und erhalten mehr soziale Unterstützung.
  2. Vergeben führt in der Regel dazu, dass nach Verletzungen keine Feindseligkeit entsteht und dass damit die negativen gesundheitlichen Folgen von anhaltender Feindseligkeit vermieden werden.

Wichtig: Man kann sich auch mit einer Person versöhnen, ohne dass diese dazu einen Beitrag leistet – sprich Einsicht, Bedauern oder Reue zeigt.

Falls ihr Fragen dazu habt, dürft ihr euch gerne an mich wenden.

Weitere interessante Artikel zum Thema Versöhnung:

https://gygyblog.com/2017/04/11/meine-mutter-ich-und-die-frage-der-schuld/

https://gygyblog.com/2015/08/18/versoehnung-mit-dem-inneren-kind-teil-1/

https://gygyblog.com/2015/08/18/versoehnung-mit-dem-inneren-kind-teil-2/

 

 

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

8 Kommentare zu „Verzeihen oder Vergeben: Wo liegt der Unterschied?

  1. Vergeben kann ich immer. Auch wenn der andere nicht will. Aber ich bin nicht einverstanden damit, dass man sich versöhnen kann, ohne dass der andere seinen Teil dazu tut. Versöhnung braucht immer zwei, zwei die einsehen, dass sie Fehler begangen haben und sich bei einander entschuldigen müssen. Das ist Versöhnung. Vergebung geschieht zwischen Gott und mir, Versöhnung zwischen zwei oder mehreren Menschen.

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  2. Hallo,
    Es tut mir Leid Ihnen zu stören.
    Ich bin franzose und ich möchte die Unterchied zwischen dem Worten „Vergebung“ und „Verzeihung“ verstehen.
    Bitte könnten Sie einfach mich es aufklären ?
    Danke im voraus

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  3. Gute und schöne Zeit Allen,
    ich möchte mich beteiligen, etwas zur differenzierten Betrachtung der Begriffe beitragen – verzeihen, vergeben, versöhnen – ich halte es für geboten zu verinnerlichen, dass es tätige Handlungen von Menschen sind, die damit betrachtet werden:

    verzeihen – wenn Menschen handeln können fehlerhafte Taten entspringen, die werden verziehen. Fälschlicher Weise sagen wir, ich verzeihe Dir. Jedoch ist es ein Prozess, der die Einsicht des handelnden Mensch in dessen fehlerhafte Tat voraussetzt und dann dem betreffenden Mensch sich zuwendet mit ehrlicher Aufrichtigkeit seiner Einsicht und der Bitte um „Verzeihung“.

    versöhnen – ist wiederum sehr familiär und will ohne große Umstände Streit und Wut besänftigen und schlichten ohne eine starke bewusste Gedankenarbeit, wie sie beim „Verzeihen“ erfolgt. Es ist eine Form alltäglicher Umgang zwischenmenschlicher Bindung und verschafft den Beteiligten Raum für mehr Aufmerksamkeit miteinander.

    vergeben – kann, nach religiösem Glauben, nur Gott, denn damit wird nicht die Tat sondern der Mensch in seinem Wirken gesegnet, indem Gott diesem Mensch vergibt.
    Ich erscheine jetzt vielleicht abartig – aber jeder Mensch, der vergibt ist anmaßend und selbstherrlich wie die Institutionen Kirche und Solcherlei…
    „Vergebung“ erbitten Menschen in größter Not von Menschen, in deren Abhängigkeit sie sich befinden. Daran wird ersichtlich, dass hier keine gleiche Ebene zwischen den beteilgten „Parteien“ vorliegt und diese „Hierarchie“ Ausdruck besonders großer menschlicher Schwäche ist.

    Anmerkung: die in Anführungszeichen gesetzten Worte erfüllen nur die substantielle Bezeichnung. Z. B. ist „Verzeihung“ sagen eine Floskel, die im Alltag eine ähnliche Funktion hat wie sich versöhnen. Es kommt auf das Handeln an und nicht aufs Reden.

    Vielen Dank an die Autorin dieser Seite und Ihre Anregungen

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