Resilienz – Psychische Widerstandskraft als Wunderformel?

Resilienz scheint die geheime Wunderformel für alle Stehaufmännchen dieser Welt zu sein. Die Menschheit krankt an allen Ecken und Enden. Wir leben in einer Welt voller Ideale, die aber für die meisten von uns unerreichbar sind. Eingebildete oder reale Perspektivenlosigkeit, allmächtige Versagens- und Verlustängste, erdrückende Einsamkeit, Stress ohne Ende oder Burnout – für viele Menschen sind das sind die Folgen, die daraus resultieren.

Die oftmals angepriesene Lösung: Resilienz – die Stärkung der psychischen Widerstandskraft als Allheilmittel für jegliche Probleme. Wer im Netz nach diesem Begriff sucht, wird rasch fündig. Für wenig Geld findet man Seminare, in denen man sich Resilienz im Schnelldurchgang aneignen kann.

Resilienz als allumfassender Schutz für die Seele? Der Mensch im Alleingang mit Resilienz gewappnet, kämpfend gegen die Probleme, denen er in der heutigen Welt ausgesetzt ist. Das klingt in Tat und Wahrheit sehr verlockend. Aber nur auf den ersten Blick…

Denn Resilienz alleine ist kein Wundermittel gegen die Widrigkeiten dieser Welt. Erst in Kombination mit anderen Faktoren kann die Stärkung der psychischen Widerstandskraft Früchte tragen. Damit Resilienz nicht auf eine individuelle Bewältigungskompetenz reduziert wird, braucht es ebenso den Blick für die komplexe Interaktion zwischen Mensch und Umwelt.

Christina Berndt, Autorin des Buches „Resilienz, Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“ beschreibt den Begriff Resilienz wie folgt:

„Resilienz ist nicht nur eine Eigenschaft, ein Wesensmerkmal oder die Summe von Charakterzügen. Neben solchen Persönlichkeitsfaktoren spielen auch Umweltfaktoren eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung der psychischen Widerstandskraft. Keine noch so starke Persönlichkeit überlebt in einer komplett widrigen Umgebung; und an sich schwache Persönlichkeiten können durch ihr Umfeld so gestärkt werden, dass ihnen die Bewältigung von Krisen an Ende leichter möglich ist als hartgesottenen Zeitgenossen.“

Zwei Beispiele resilienter Persönlichkeiten

Es gibt Kinder, denen passieren ganz furchtbare Dinge. Kinder in Kriegs- und Krisengebieten, Kinder gewalttätiger Eltern, Kinder, die sexuell missbraucht wurden, Kinder, die entführt wurden. Viele zerbrechen an der übermassigen Belastung. Sie sind traumatisiert und finden den Weg zurück ins Leben nur schwer. Und dann gibt es Kinder, die sich trotz Traumatisierung und schwerer Belastung relativ unbeeinträchtigt entwickeln.

Zwei bekannte Beispiele sind Bill Clinton und Natascha Kampusch. Clinton litt als Kind unter einem alkoholabhängigen und gewalttätigen Vater. Abgesehen davon, dass er eine Affäre hatte, die dummerweise bekannt wurde und die er dann nochmals dummerweise zuerst abgestritten hat, ist aus Klein Bill ein erfolgreicher und mächtiger Mann geworden.

Und Natascha Kampusch? Sie wurde als 10jähriges Mädchen entführt und schaffte 3096 Tage später die Flucht aus dem Haus des Entführers. 3096 Tage! Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, was das für ein kleines Mädchen bedeutet. Und dann geschah für viele das Unfassbare: Natascha Kampusch entsprach so ganz und gar nicht dem Bild eines Entführungsopfers. Es gab sogar Stimmen, die an ihrer Geschichte zweifelten. Eine gefasste, junge Frau berichtete sachlich über ihr Martyrium.

Worin liegt das Geheimnis einer solchen Stärke?

Diese Menschen verfügen über eine Lebenseinstellung, die den Blick zuversichtlich nach vorne richtet. Ihre Haltung beruht auf Gelassenheit und Selbstsicherheit. Sie sind stärker im Nehmen als andere. Es ist, als hätten sie einen Schutzpanzer auf ihrer Seele. Natürlich gibt es Menschen, denen es leichter fällt, nach einem Schicksalsschlag wieder aufzustehen. Eine solche Person muss Schweres zweifelsohne gut aushalten und verarbeiten können.

Um ein Trauma zu überstehen, braucht es neben (emotionaler) Intelligenz auch die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen. Es ist ebenso von Vorteil, wenn man schwierige Situation nicht einfach als gegeben betrachtet, sondern diese als Herausforderungen wahrnimmt. Zudem ist es hilfreich, wenn man sich nicht an seinen Gewohnheiten festklammert, sondern stattdessen offen für Veränderungen im Leben ist. Um traumatisierende Ereignisse unbeschadet zu meisten, ist eine optimistische Grundhaltung mit Sicherheit von Vorteil.

Wer meinen Blog regelmässig besucht, der weiss, dass ich aus einem schwierigen Elternhaus stamme. Sowohl meine Mutter als auch mein Vater sind psychisch krank. Meine Mutter litt zudem unter Alkohol- und Tablettenabhängigkeit sowie diversen Zwangshandlungen. Resilienz ist auch mir im Leben schon mehrfach zugute gekommen. Aber auch andere Faktoren wie interne und externe Ressourcen haben bei der Stärkung meiner Psyche eine wesentliche Rolle gespielt. Im Kindergarten beispielsweise waren es die Nonnen, die mir geholfen und sich um mich gekümmert haben. Oder meine Pflegefamilie. Ohne diese externen Kraftquellen wäre es mir nicht gelungen, die Probleme meiner Kindheit zu bewältigen.

Christina Berndt spricht in ihrem Buch von „Ausbildung der psychischen Widerstandskraft“. Resilienz wird einem also nicht in die Wiege gelegt. Resilienz ist eine Entwicklung und keine Technik, die gelehrt und gelernt werden kann. Sie ist vielmehr eine biografisch gewachsene, im Zuge der psychischen Entwicklung geformte Eigenschaft.

Kennt ihr Menschen mit einer starken psychischen Widerstandskraft? Was denkt ihr, ist deren besondere Stärke?

Quellenverzeichnis:

Christina Berndt, Resilienz, Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft (2014)

Psychologie Heute, November 2015

 

 

Verfasst von

Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

6 Kommentare zu „Resilienz – Psychische Widerstandskraft als Wunderformel?

  1. Ich habe gelernt, dass Resilienz von innen kommt. Sie muss ja auch von Innen kommen, da sie einen trotz widriger Umstände überleben lassen kann bzw. „unbeschadet“ ins Leben entlässt. All die Einstellungen etc. rühren ja wiederum aus der Resilienz.

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  2. Resilienz ist gut, richtig und wichtig. Aber das richtige Maß oder Anwendung ist wichtig genau wie beim positiven Denken. Es ist wichtig seinen Gedanken eine positive Richtung zu geben, aber in der Übertreibung ‚Du musst nur richtig genug positiv denken, dann geht auch Dein Magenkrebs weg‘ schädlich. Der gute Weg in der Mitte halt, um nicht links oder rechts vom Pferd zu fallen.

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