Fernab ihrer Heimat…Gedanken zum Drama im Mittelmeer

Die Welt ist riesig und voller Menschen. Menschen, denen es gut geht, so wie mir. Die von allem immer etwas zu viel haben. Ich lebe im Überfluss in einer Überflussgesellschaft. Luxus ist längst zur Massenware geworden. Vorhin kaufte ich mir eine Regenjacke. Regenjacken gibt es, so wie jedes andere Produkt auch, in unzähligen Ausführungen und unterschiedlichen Modellen. Verzicht ist etwas, das ich und viele andere kaum mehr kennen.

Kriege, Terror, Verfolgungen, Kälte, Hunger und Durst, das sind Dinge, mit denen ich mich nur via Fernsehen, Zeitungen und Internet auseinandersetzen muss. Bilder, die zu mir ins gemütliche Wohnzimmer flackern. Die mich traurig und nachdenklich stimmen. Mich oft gar schockieren. In meiner wohlig, warmen Stube. Oder vor meinem schicken Notebook auf dem bequemen Sessel.

Auch gestern sah ich solche Bilder. Bilder des Grauens. Nur einige hundert Kilometer von mir entfernt. In einem Meer, im dem ich und auch meine Familie schon unbeschwert gebadet haben. Das Leben in vollen Zügen genossen haben.

Bilder von Menschen, die täglich aufstehen und die dabei nicht wissen, wie ihr Tag enden wird. Menschen, deren Leben in Gefahr ist. Menschen, die keine Sicherheit kennen. Sie erleben grauenhafte Dinge. Sie kennen Terror, Wut, Hass und Verzweiflung. Viele von ihnen haben dem Tod vermutlich schon mehr als einmal ins Gesicht gesehen und sind ihm knapp entronnen. Sie können nicht mehr, wissen weder ein noch aus. Sie wissen nur eines mit Bestimmtheit: Das ist so kein Leben. Fort von der Heimat, alles hinter sich lassen. Irgendwo nochmals von vorne beginnen. Um dem Elend, dem Krieg, dem Hunger und Leiden zu entkommen, dem sie immer wieder aufs Neue ausgesetzt sind. Sie wissen, dass dies ihr Tod sein kann und doch sehen sie keinen anderen Ausweg, keine andere Möglichkeit. Sie sind bereit, das Risiko in Kauf zu nehmen. Denn irgendwo am Horizont schimmert ein klitzekleiner Funken – ein Funken Hoffnung. Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben. Fernab von dem Ort, der ihnen alles genommen hat. Fernab von ihrer Heimat.

Sie besteigen ein Boot. Eine Fahrt mit ungewissem Ausgang. Doch diese Reise endet für viele auf dem Grund des Meeres. Aber nicht nur Menschen sterben. Mit ihnen sterben auch ihre Träume und Hoffnungen auf eine vermeintlich bessere Zukunft. Unsäglich viel Leid, Kummer und Elend, zusammengepfercht auf einem Boot, das dem Untergang geweiht ist.

Nach Angaben der vereinigten Nationen starben im Zeitraum vom Januar bis heute 900 Flüchtlinge bei dem Versuch, Europa über das Mittelmeer zu erreichen. Das sind 900 Tote in nur vier Monaten. Unfassbar. Im Vergleich zum Vorjahr sind das zehnmal so viele wie im vergleichbaren Zeitraum des letzten Jahres (Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/mittelmeer-fluechtlinge-schiffsunglueck-sicherheit). Wenn sich nichts ändern wird, werden noch viele Weitere dazu kommen.

Ich frage mich, wo hier der Aufschrei der Massen bleibt? Haben Menschen mit dunkler Hautfarbe in unserer (europäischen) Gesellschaft tatsächlich einen geringeren Stellenwert?

Mein Artikel wird an den Zuständen der europäischen Flüchtlingspolitik leider nichts verändern. Ich schreibe ihn trotzdem, um all den Menschen zu gedenken, die auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer den Tod gefunden haben. Mögen sie in Frieden ruhen.

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Ich stehe mitten im Leben und schreibe darüber. Über das Leben mit all seinen Facetten. Mal bunt, mal düster, mal witzig, mal ernst. So, wie das Leben eben ist. Immer in Bewegung. Sowohl privat (Mutter von drei Kindern 9, 10 & 12 Jahre alt) als auch beruflich interessiere ich mich für Psychologie - ich bin diplomierte Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Schreiben ist nicht einfach ein Hobby - es ist Leidenschaft.

6 Kommentare zu „Fernab ihrer Heimat…Gedanken zum Drama im Mittelmeer

  1. Ja, das hat mich auch so sehr beschäftigt, dass ich in meinem blog dazu etwas schreiben musste. Besonders auffällig war für mich der Gegensatz zwischen dem Hype nach dem Absturz der German Wings Maschine und dem“beinahe Schweigen“ über den Tod im Mittelmeer.

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  2. Oder der „Je suis Charlie“ Hype. Frage mich auch heute noch, wo all die Charlies geblieben sind. Auch das Uni-Massaker in Kenia,kein globaler Aufschrei. Sehr kurios, das Ganze.

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  3. Ja, ich habe es gestern oder vorgestern auch mit Entsetzen im Radio gehört. Angeblich, weil die Flüchtlinge nach Malaysia wollten. Klar.
    Nun ja, die Geschichte wiederholt sich. Als jüdische Flüchtlinge aus Europa nach Amerika wollten, hat man sie auch nicht angenommen, sondern zurück geschickt. Man fragt sich, wo da die Menschlichkeit bleibt… :/

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